Jubiläums-Interview: Unterwegs mit der badischen Motorkutschenfahrerin

Uhrmachermeisterin Ulrike Gärtner hat sich mit Fünfzig neu erfunden. Nach einer schweren Krankheit und ihrer Familienpause verkaufte sie ihren Laden und fing nochmal von vorn an – mit einer außergewöhnlichen Geschäftsidee. Ulrike Gärtner hat sich in eine nostalgische Motorkutsche, eine Original Aaglander, verliebt. Seit 2008 bietet sie Ausfahrten rund um Baden-Baden an. Mittlerweile gelten sie und ihre Kutsche als touristische Attraktion. Ein Nischengeschäft aufzubauen, ist nicht leicht. Doch Ulrike Gärtner hat an sich und ihre Idee geglaubt. 2018 feiert sie nicht nur ihren sechzigsten Geburtstag, sondern auch ihr zehnjähriges Jubiläum als Motorkutschenfahrerin. Im Interview erzählt sie mir von ihrem Traumberuf.

Wie bist Du denn zu so einer ungewöhnlichen Kutsche gekommen?

Ein Onkel meines Mannes hatte die Original Aaglander in Bayern entdeckt und erzählte uns davon. Mein Mann und ich waren sofort Feuer und Flamme. Wir waren begeistert von der feinen Fahrzeugtechnik, der stilvollen Ausstattung und hatten sofort etliche Ausflugsziele im Kopf. Ich sah mich schon ganz gemütlich durch die badischen Weinberge kutschieren. Einfach die Landschaft genießen und dort anhalten, wo es mir gefällt.

Und was war der Auslöser, Motorkutschenfahrerin zu werden?

Ich liebe meine Heimat. Und ich liebe es, Menschen eine Freude zu machen. Das Rebland, die Rieddörfer und das Rheintal sind wunderschöne Landschaften. Nach meiner Krankheit hatte ich die Natur als Kraftquelle wiederentdeckt. Ich sehnte mich nach Entspannung und Entschleunigung. Warum also nicht einen Beruf daraus machen?! Die Vorstellung, meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, war einfach wunderbar. Und so eine edle Aaglander Motorkutsche gab es im Raum Baden-Baden noch nicht. Am meisten freute ich mich auf mehr Freiraum, liebenswerte Menschen und darauf, die Natur mit allen Sinnen zu genießen. Statt Tag für Tag im Geschäft zu stehen, mache ich nun drei- bis fünfstündige Ausfahrten ins Grüne. Das ist Balsam für die Seele – für meine Gäste und für mich.

Wie hast Du Dich und Deine Landpartien bekannt gemacht?

Mein Markenzeichen ist mein blauer Hut. Irgendwie war mir klar, dass ich als Motorkutschenfahrerin eine Art Uniform brauchte. Früher fuhren Kutscher ja auch in Livrée. Es ist mir wichtig, den viktorianischen Stil der Aaglander zu würdigen und mich stilvoll zu kleiden. Ich hab von Anfang an einen Hut auf dem Kutschbock getragen – auf Ausfahrten, Messen und öffentlichen Terminen. Mit Messegästen veranstalte ich manchmal Fotoaktionen mit Hüten zum Ausprobieren. Auch als dekorativer Blickfang für Firmenevents oder Tage der offenen Tür bin ich schon gebucht worden. Die Aaglander Motorkutsche ist eine beliebte Fotokulisse – und manchmal sogar Publikumsmagnet.

Na ja, aufzufallen ist das Eine. Aber was tust Du, um Deine Wunschkunden zu erreichen?

Als Newcomer im Tourismus musste ich natürlich kräftig die Werbetrommel rühren. Da rollt einem keiner den roten Teppich aus. Das ist viel Arbeit, macht aber auch Spaß. Ich rede gern und sehe zu, dass meine Kutsche im Gespräch bleibt. Ich bin bei einigen Frauennetzwerken in der Region Baden-Baden, Karlsruhe und Rastatt aktiv – und kooperiere mit dem Convention Bureau Karlsruhe. Auch bei regionalen Veranstaltungen bin ich präsent. Wenn ich mit der frisch polierten Aaglander vorfahre, sorgt das immer für Aufsehen. Dann glänzen die goldenen Pferdchen in der Sonne. Da komm ich schnell ins Plaudern mit Leuten, die sich für meine Kutsche interessieren.

Ob ich meine Gäste von zu Hause, vom Hotel oder vom Flughafen abhole, letztlich hat jede Ausfahrt einen gewissen Werbeeffekt. Denn wir bewegen uns mit bis zu 15 Stundenkilometern auf öffentlichen Straßen. Unterwegs machen wir ein Picknick, halten wir an Aussichtspunkten, Cafés oder Gasthäusern. Je nach Jahreszeit schauen wir bei regionalen Erzeugern wie Winzer, Erdbeer- oder Spargelbauern vorbei. Solche Erlebnisse teile ich natürlich gern auf Facebook. Meinen Gästen maile ich immer ein paar Schnappschüsse zur Erinnerung. Einmal bin ich mit einem Brautpaar in der weiß geschmückten Motorkutsche an einem roten Klatschmohnfeld vorbeigekommen. Da haben wir natürlich einen Fotostopp eingelegt. Solche Momente sind einfach unbezahlbar.

Du bietest also nicht nur Kutschfahrten, sondern besondere Erlebnisse in der Natur – mit Dir als Gallionsfigur?!

Ja, so kann man das natürlich auch sagen. Ich sehe mich als Botschafterin der Region und zeige meinen Gästen gern die schönsten Ecken meiner Heimat. Mit der Kutsche und mir unterwegs zu sein, ist ein Erfahren mit allen Sinnen. Man spürt die Sonne und den Wind auf der Haut. Es duftet nach frischem Heu oder blühenden Obstbäumen. Man hat Zeit, die Dinge am Wegesrand wahrzunehmen. Zirpende Grillen. Bunte Schmetterlinge. Das ist Entspannung pur.

Die Aaglander selbst zu fahren, wirkt wie ein Türöffner. Wenn ältere Gäste auf dem Kutschbock sitzen und die Leinenstangen in die Hand nehmen, brechen längst vergessene Geschichten wieder auf. Erinnerungen an die Kindheit auf einem Gutshof oder an die Zeit in der alten Heimat, als Pferdekutschen und Fuhrgespanne noch normal waren. Jüngere finden mich eher kurios, aber interessant. In unserer hochtechnisierten Welt hat meine nostalgische Kutsche einfach Seltenheitswert. So komme ich mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt. Manchmal braucht es Zeit, bis ich gebucht werde. Aber ich bleibe am Ball und hinterlasse überall kleine Spuren. Die meisten erinnern sich an mich, wenn Sie etwas Besonderes verschenken möchten – zum Geburtstag, zur Silberhochzeit oder zum Jubiläum.

Deine Motorkutsche ist ein Stück Zeitgeschichte, das Du seit zehn Jahren am Leben erhältst. Wie wirst Du Dein Jubiläum feiern?

Am liebsten würde ich mit allen anstoßen, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Aber das ist utopisch. Und ein großes Fest ist mir ehrlich gesagt zu aufwändig. Deshalb hab ich mir überlegt, mein Glück mit allen Menschen zu teilen, die mich 2018 buchen. Ich liebe es, meine Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten zu verwöhnen. Auf den Ausfahrten im Jubiläumsjahr werde ich unterwegs ein paar leckere Überraschungen aus dem Hut zaubern. Einen prickelnden Erdbeer-Secco oder badische Tapas wie Pestobrot oder Antipasti – ein kleines Dankeschön mit viel Liebe gemacht. Wenn ich nicht Motorkutschenfahrerin geworden wär, hätt ich ein kleines Café eröffnet. Aber als Uhrmachermeisterin bin ich den Zahnrädern treu geblieben …

Am 16. Juni 2018 bin ich übrigens beim „Picknick in Weiß“ auf dem Rastatter Schlosserlebnistag. Ich genieße das fürstliche Flair in der Parkanlage vom Schloss Favorite sehr und freue mich darauf, einen schönen Tag mit lieben Menschen zu verbringen. Wer an meiner weißen Tafel Platz nehmen und mit mir anstoßen möchte, kann sich gern an mich an wenden.

Na, dann wünsche ich Dir ein wunderbares Jubiläumsjahr. Danke, dass ich Dich begleiten durfte und Du mir so viel über Dich und Deine Kutsche erzählt hast, liebe Ulrike.

Fotos: Michael Karl für Aaglander Baden-Baden

Mein kleiner Ausflug in die Welt der Langsamkeit

Auch ich hatte das Vergnügen, die Aaglander selbst zu lenken. Auf dem Kutschbock bekommt man echt eine andere Sicht auf die Dinge. So langsam durch Felder und Wiesen zu tuckern, hat was Meditatives. Die nostalgische Kutsche strahlt einen besonderen Zauber aus.  Jeder, der uns begegnete, hatte ein Lächeln im Gesicht. (Foto: Ulrike Gärtner)

Porträt Andrea Stanke
Andrea Stanke | Heart Worx
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